Bali in Schwarz-Weiß verstehen: Das Geheimnis des Poleng
Während Ihrer Reise auf Bali werden Sie überall Schachbrettmuster sehen. Dieses schwarz-weiße Karomuster erinnert Sie vielleicht an ein Schachspiel oder ein Formel-1-Rennen? Auf dieser indonesischen Insel entdecken Sie jedoch, dass es eine ganz andere Bedeutung tragen kann.
Der Poleng
Auf Bali heißt das Schachbrettmuster Poleng, und die Stoffe, die es tragen, nennt man Saput Poleng. Diese Textilien verkörpern sehr anschaulich ein grundlegendes Konzept der balinesischen Denkweise: das Rwa Bhineda. Dieses Prinzip zu verstehen ist essenziell, um den Reichtum und die Tiefe der balinesischen Kultur vollständig zu erfassen.
Als Altar geschmückter Opferplatz an einem Strand auf Bali © Shanti Travel
Das Wort Poleng bedeutet schlicht „Karo“. Doch es ist kein bloßes ästhetisches Muster, sondern ein starkes spirituelles Symbol. Man findet es in Tempeln, die Altäre und Statuen bedecken, auf den Sarongs der Tempelpriester bis hin zu den alltäglichsten Details des balinesischen Lebens. Der Poleng ist allgegenwärtig: Er erinnert an die notwendige Dualität der Welt, gemäß einer typisch balinesischen Weltsicht.
Saput Poleng in einem balinesischen Tempel © Shanti Travel
Diese Sichtweise, die man kennen muss, um Bali wirklich zu verstehen, ist das Rwa Bhineda — ein Begriff an der Grenze von Philosophie und Religion. Das Wort stammt aus dem Altjavanischen und Sanskrit und bedeutet wörtlich „zwei Unterschiede“. Es drückt die tiefe Überzeugung aus, dass alles nur durch sein Gegenteil existiert und Harmonie nicht durch den Sieg eines Prinzips über das andere entsteht, sondern durch ihr ausgewogenes Nebeneinander. Schwarz verkörpert das Böse, das Chaos, die Dunkelheit; Weiß das Gute, die Ordnung, das Licht. Doch keines hat Bedeutung ohne das andere. Es ist eine Logik der Komplementarität: Gut und Böse, Männlich und Weiblich, Heilig und Profan sind untrennbar miteinander verbunden.
Poleng-Band an Schutzstatuen © Shanti Travel
Die Saput Poleng — Stoffe mit dem Poleng-Muster — sind in der Regel schwarz-weiß, da diese beiden Farben die direkte Darstellung des Rwa Bhineda-Konzeptes sind. Es gibt jedoch auch Varianten. (Das Poleng Sudhamala enthält einen Grauton, das Poleng Tridatu kombiniert Rot, Schwarz und Weiß, was auf die hinduistische balinesische göttliche Triade hindeutet: Brahma, Vishnu und Shiva).
Ein Tempelpriester bereitet einen Touristen für die Besichtigung vor © Shanti Travel
Einige balinesische Gemeinden weben heute noch handgefertigte Poleng-Stoffe nach alten Techniken. Dieses Kunsthandwerk können Sie in den Dörfern der Regionen Gianyar und Klungkung entdecken, die Sie leicht bei Ihrer Erkundung von Bali besuchen können. Die Arbeit ist präzise und anspruchsvoll: Jede Karo muss perfekt ausgerichtet sein und zeigt die Sorgfalt, die auf die Harmonie des Musters gelegt wird — eine spirituelle Harmonie zugleich.
Heute ist der Poleng weit mehr als ein ritueller Stoff. Er ist eines der stärksten Symbole der balinesischen Kultur geworden. Man sieht ihn um heilige Bäume, die Pohon Pusering Jagat, gewickelt. Er schmückt die Stirn der Barong, schützender mythischer Figuren des Guten. Er kleidet die Statuen der Tempelwächter — Löwen, Drachen oder hybride Wesen — die am Eingang der Heiligtümer stehen. Er markiert auch die heilige Präsenz in Familienheiligtümern.
Schachbrettboden in einem balinesischen Tempel © Shanti Travel
Für einen westlichen Besucher mag das Rwa Bhineda zunächst ein fremdes, schwer fassbares Konzept sein. Wir sind es gewohnt, in Begriffen von Sieg, Hierarchie, Wettbewerb zu denken. Auch ich selbst, als Betriebsleiterin von Shanti Travel auf Bali, brauchte Zeit, um die Tiefe dieses Prinzips zu erfassen. Doch eines Tages ging ein Licht auf. Ich saß mit Kollegen bei einem Glas nahe unserem lokalen Büro auf Bali.
Im Restaurant fiel mein Blick auf ein Schild mit einem Regenbogen. Darauf stand:
"Like a Rainbow we need both, Sun and Rain, to make our colour appear."
Bürgersteig unter dem Zeichen des Poleng © Shanti Travel